Chapeau Harry!

16. Dezember 2022

Als nur noch Harry Kane und Hugo Lloris im Strafraum standen, als der Kapitän der Engländer und der Kapitän der Franzosen auf den Ball, der dort auf dem ominösen Elfmeterpunk döste, starrten, als Kane schoss und Lloris sprang, als dieses dramatische Duell  der Weltmeisterschaft seinen Wildwestmoment erreichte, stand mir der Atem still! Für Sekunden zwar nur. Aber in einer Synchronizität, die das Gefühl vermittelte, die Erde stehe still.

Ich fühlte mit Harry, mit dem einsamen Menschen am Punkt. Harry, der Teamplayer, der plötzlich alleine dasteht. Für den nichts zu gewinnen und alles zu verlieren ist. Und ich litt mit ihm! Furchtbar.

Die Idee, einen Mannschaftssport in einem entscheidenden Moment auf ein Duell eins gegen eins – Torhüter gegen Schützen zu reduzieren, ist irgendwie völlig unlogisch, aber ein uraltes Entscheidungs-Kampfritual. Wie in Homers Ilias der entscheidende Zweikampf zwischen Hector und Achilles.

Das Duell ist das Wesen des Sports. Der Elfmeter verkörpert einen Urinstinkt des Menschen: der Kampf Mann gegen Mann. Heutzutage im Sport ohne Waffe. Der Kampf findet auf einer ganz anderen Ebene statt: Es geht darum, in jenen Zustand zu gelangen, den wir alle anstreben, den aber selbst Spitzensportler•innen nur selten erreichen: ganz bei sich zu sein.

Und ich bewundere Harry, und jeden Einzelnen, der den Mut hat, jetzt vorzutreten und die Verantwortung zu übernehmen und sich dem grösstmöglichen Erwartungsdruck auszusetzen, den wir im Sport kennen. Keine Angst vor dem Scheitern, sondern nur Selbstvertrauen und Stolz – den Stolz nämlich, im Zentrum des Scheinwerferlichts, des Universums zu stehen und die Verantwortung tragen zu dürfen – und das für eine ganze Nation.

Chapeau Harry!